Montag, 14. Januar 2008

Der Tag an dem die Welt aus ihren Fugen geriet (3)

Einige Zeit später, er wusste nicht wie viel, drohten seine Beine schlapp zu machen. Sein Magen knurrte und ihm war elend zu mute. Doch etwas schien sich verändert zu haben. Der Rauch war dünner geworden und hier lagen auch nicht ganz so viele Tote. Es war ihm ohnehin schon aufgefallen, dass umso weiter er in diese Richtung ging, immer weniger Leichname zu erkennen waren. Vielleicht waren hier ja noch Menschen! „Hallo! Ist hier jemand?!“, rief er verzweifelt. Maja, die eingenickt war, schreckte beim Klang seiner Stimme hoch und beschwerte sich mit einem kurzen Laut. „HALLO?!“ Er seufzte. Keine Antwort. Niedergeschlagen und völlig ausgelaugt beschloss er, morgen weiter zu gehen. Vielleicht wurden sie ja gefunden. Zumindest hoffte er, dass man nicht dachte, alle seien hier gestorben.
Nur Dumme hoffen, meldete sich diese unerträgliche Stimme in seinem Kopf wieder zu Wort.
Er zuckte mit den Achseln. Außerdem wurde es langsam dunkel und er sah bald seine Hand nicht mehr vor Augen. „Wir machen jetzt eine Pause, ja?“, sagte er zu der Kleinen.
„Pause“, wiederholte sie schläfrig. Der Junge musste wieder lächeln. Es tat ihm gut.
Also suchte er ihnen einen geeigneten Rastplatz.
Seine Wahl fiel auf ein altes Hotel, das außer einigen zerbrochenen Fenstern nicht stark beschädigt zu sein schien. Von außen war die Fassade an einigen Stellen verkohlt, doch innen brannte kein Feuer. Das meterhohe Gebäude schien auch sonst sehr haltbar zu sein. Sein Magen knurrte wieder und auch die Kleine jammerte, sie habe Hunger. So betrat er das Gebäude, auch wenn ihm ziemlich mulmig dabei war. Es war recht dunkel, aber man konnte noch genügend sehen. Der Junge suchte einen Lichtschalter. Er fand einen, doch ihn zu Betätigen nützte nichts, es gab anscheinend keinen Strom. Das hätte er sich auch wohl denken können. In dem dämmrigen Licht, das im Hotel vorherrschte, konnte er nicht viel erkennen, doch es schien recht luxuriös gewesen zu sein. Der Eingang führte direkt in eine weite Aula. In der Mitte konnte er eine verlassene Rezeption erkennen. Um diese herum standen mehrere Sessel und Sofas, wahrscheinlich für wartende Gäste. Welche Farbe sie hatten, konnte er nicht erkennen. In der Mitte der gefliesten Halle hatte ein herabgestürzter elektrischer Kronleuchter ein Loch in den Boden gebrochen. Eine Zuversicht flammte ihn ihm auf. Vielleicht lag es doch nicht am Strom, dass der Schalter nicht funktionierte. Er erinnerte sich, dass die meisten Hotels mit einem Notstromaggregat ausgerüstet sind. Hatte er das gelesen?
Möglich, das war jetzt aber auch nicht wichtig. Zwischen den im Raum verteilten Glassplittern des Kronleuchters und einiger Fenster lagen ein paar Koffer verstreut. Das Gebäude war verlassen, davon ging er fest aus. Als er so die Koffer betrachtete, bemerkte er, wie blutverschmiert und schäbig seine Kleidung aussah. Und auch die Kleine konnte etwas Wärmeres zum Anziehen vertragen. Und, vielleicht gab es hier ja auch Wasser!
Er trat auf die Rezeption zu und bemerkte mehrere Lichtschalter. Er betätigte alle und tatsächlich: Eine Lampe an der Decke schickte schwaches, flackerndes Licht in die Halle.
Man sah zwar nicht viel mehr, als vorher, aber es hatte schon ungemein geholfen. Die Kleine schaute ihn mit ihrem grausam zugerichteten Gesicht an, doch er ekelte sich nicht vor ihr. Er trug sie zu den Koffern, setzte sich auf eine nicht von Splittern bedeckte Stelle und nahm sie auf seinen Schoß. Danach zog er einen der Koffer an sich heran. Er musste aus diesen Klamotten raus. Er öffnete einen der Koffer und durchwühlte ihn. Für sich hatte er schnell etwas gefunden. Seine Wahl fiel auf einen schwarzen Pullover (so erschien er zumindest in diesem Licht) und eine ausgebleichte Jeans. Beides schien zwar etwas zu groß, aber es würde ihn schon warm halten, bis sie gerettet wurden. Die kleine schaukelte auf seinem Schoß hin und her und brabbelte unverständliches Zeug. Er hatte sich extra in den Schneidersitz gesetzt, damit sie nicht so leicht herausfallen konnte. Er fand nichts für sie und zog den nächsten Koffer zu sich heran. Er musste einer Frau gehört haben, denn es war nur Frauenkleidung darin. Mit Freude stellte er aber fest, dass die Frau auch eine Reiseapotheke dabei gehabt hatte, welche er an sich nahm. Was er noch fand, verdutzte ihn ein wenig, es war ein Springmesser. Auch dieses nahm er vorsichtshalber an sich. Man konnte ja nie wissen.
Aber auch in diesem Koffer war nichts, was Maja passte. Daher holte er sich den nächsten.
Doch als er auch in diesem und in drei weiteren keine Kinderklamotten Fand, wollte er schon fast aufgeben. „Hat keiner von euch Arschlöchern Kinder?!“ „Arslocha“, plapperte die Kleine ihm nach. Dadurch musste er wieder lachen und auch Maja schaute zufrieden und grinste. Er fuhr ihr durchs Haar und beschaffte sich einen weiteren Koffer. Und endlich wurde er fündig.
Er hielt zwei Kleidchen hoch. „Na, welches möchtest du?“ Sie schaute ihn verwundert an und er entschied sich für eines der beiden, es war blau mit weiße Blümchen, und eine weiße Strumpfhose. Als er schon wieder aufstehen wollte, beschwerte sich das Mädchen lautstark. Ihr Augenmerk war auf einen kleinen Teddy gefallen, der auch in dem Koffer lag, nach welchem sie nun ihre Hand ausstreckte. Der Junge nahm ihn für sie heraus und drückte ihn ihr in die Hand.

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