Sonntag, 4. Mai 2008

Der Tag an dem die Welt aus ihren Fugen geriet (4)

Neben ihnen konnte er schwach eine Glastür erkennen. Er hängte die Sachen über den einen und nahm die Kleine auf den anderen Arm und schritt auf die Tür zu. Speisesaal stand in goldenen Lettern darauf geschrieben. Vielleicht fand er von dort aus ja die Küche.
Auch hier betätigte er einen Lichtschalter, doch die Glühbirnen der Lampen waren allesamt zerplatzt. In diesem Gebäude hatte das Feuer nicht gewütet, doch ihm war immer noch mulmig zu mute. Am Ende des Speiseraumes war eine Schwungtür. „Bingo“, sagte er und betrat durch sie hindurch die riesige Küche des Hotels. Hier tat das Licht wieder und auch der Kühlschrank war prall gefüllt. Ein großer Stein fiel von seinem Herzen, bis sie gerettet werden würden, verhungerten sie wenigstens nicht. In der Mitte der Küche stand eine große Arbeitsfläche mit Stühlen. Sie war umrundet von Küchentheken und tausenden von Herdplatten. Der Kühlschrank ragte bis zur Decke. Er setzte Maja auf einen der Stühle mit Armlehnen und schob diesen nah an die verchromte Arbeitsfläche heran.
Er wollte den Wasserhahn prüfen und drehte ihn auf. Natürlich floss kein Wasser, er hatte es ohnehin erwartet, man konnte ja nicht alles haben. Maja hatte ihren Teddy im Arm und patschte mit der einen Hand auf der glatten Fläche herum. Es war ihm unheimlich hier in diesem verlassenen Hotel zu stehen, während draußen hunderte Leichen zwischen ausgebrannten Häusern und Autos herumlagen. Sein Magen knurrte mal wieder und er entschloss sich erst einmal etwas zu essen. Im Vorratsraum, der links von ihnen lag, waren mindestens zwanzig Kisten Wasser gestapelt. Er würde sich und Maja später damit waschen, aber jetzt nahm er erstmal eine Flasche und schenkte sich etwas in ein Glas. Maja panschte zufrieden in einem Erdbeerjoghurt herum, den er ihr zum Essen gegeben hatte. Den Löffel dazu hatte sie schon längst über den Tisch katapultiert. Der Junge, er war wohl ungefähr 16 oder 17 Jahre alt, war mittelgroß und hatte dunkelbraune Haare. Das Licht der Glühbirnen in der Küche funkelte in seinen Haselnussbraunen Augen. Er hatte sich selbst ein Sandwich gemacht, nagte aber nur nachdenklich daran rum. Seine Stirn hatte er in Sorgenfalten gelegt. Maja hatte sich schon das komplette Gesicht mit dem rosa Brei voll geschmiert und grinste ihn schelmisch an.
Nachdem beide mehr oder weniger gegessen hatten, machte er sie sauber und zog ihr die Klamotten an, die ihr ein bisschen zu groß waren, sodass sie sogar noch süßer aussah. Er selbst machte sich in der Vorratskammer fertig, auch wenn er nicht wusste warum er sich vor einem zweijährigen Mädchen schämte. Er konnte das Blut zwar nicht ganz loswerden, aber er fühlte sich schon besser.
Als er wieder zu Maja trat, merkte er, dass sie Augen kaum noch offen halten konnte. Auch er war sehr Müde, also beschloss er, im Speiseraum zu schlafen. Dort schob er einen Sessel an ein Sofa, so dass der Sessel eine Art Kinderbett bildete und holte sich aus einem Wäschewagen zwei Decken. Er wickelte Maja in die eine Decke und schaute entzückt zu, wie sie gähnte. Einige Zeit behielt er sie in seinen Armen, bis sie eingeschlafen war und legte sie anschließend auf dem Sessel nieder. Er selbst legte sich aufs Sofa und bedeckte sich mit der anderen Decke. Aber schlafen konnte er vorerst nicht. Er grübelte die ganze Zeit. Was war bloß passiert? Die ganzen Toten, das konnte einfach nicht sein. Die Unwissenheit quälte ihn. Er wusste nicht einmal, wer er war oder ob er vielleicht eine Familie hatte. Aber das würde er schon noch herausfinden, hoffte er zumindest.
Seine Augenlider wurden immer schwerer und irgendwann übermannte ihn der Schlaf.
Ein schwerer Fehler, wie sich bald herausstellen sollte.