Dienstag, 1. Januar 2008

Als die Welt aus ihren Fugen geriet (2)

1
Als er erwachte, zitterte er am ganzen Körper. Er lag in seinem eigenen Blut auf der Straße. Doch das war nicht die Straße, die er heute Morgen zur Schule gegangen war. Sie hatte zu mindest keine Ähnlichkeit mehr damit. Der Junge spürte einen gleißenden Schmerz, als er versuchte, sich aufzurichten. Mit Erschrecken musste er feststellen, dass seine Umgebung einem Schlachtfeld glich. Die Wolkenkratzer, die einst die Stadt gesäumt hatten, waren in sich zusammengefallen, wie Kartenhäuser bei einem Windstoß und überall brannte es. Fenster waren herausgeplatzt und Straßenlaternen einfach umgestürzt. Ein widerlicher Geruch lag in der Luft und Übelkeit stieg in dem Jungen auf, so schlimm, wie er es wohl noch nie erlebt hatte. Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern. Aber das war auch kein Wunder, denn wenn er es recht bedachte, konnte er sich an fast gar nichts erinnern. Er schaffte es mit einiger Mühe, sich aufzurichten. Sein Herz schlug wie wild und er zitterte immer schlimmer. Erst jetzt bemerkte er die ganzen Leichen, die um ihn herum zerstreut lagen. „Ach du Scheiße.“ Sein Atem ging schnell, viel zu schnell. Und immer wieder brachte der kratzige Rauch ihn zum husten. Was war hier los und wo zum Teufel war er überhaupt? Sein Denken war so gut wie ausgeschaltet. Es fühlte sich an, als umwöbe eine Wolke seinen Verstand. Heiße Tränen liefen über seine Wangen und er hatte starke Kopfschmerzen. Doch von alldem merkte der Junge, dem bald auffallen würde, dass er noch nicht einmal seinen eigenen Namen kannte, gar nichts. Sein Herz blieb ihm fast stehen, als ihn auf einmal eine Hand von hinten packte.
Ihn packte die nackte Panik. Er stand auf und taumelte rückwärts in einen Haufen Leichen. Er versank in einem Gemenge aus Blut und Körperteilen. Ihm war zum Schreien zumute, doch er konnte nicht. Der Junge kämpfte sich aus dem Leichenhaufen, der ihn wie Treibsand umschloss. Sein ganzer Körper war jetzt vom Blut der Leichen verschmiert. Sein Herz raste und die Angst benebelte seine Sinne. Ihm war gleichzeitig heiß und kalt. Als er versuchte sich irgendwo festzuhalten, rutschte er ab. Doch irgendwie schaffte er es wieder aufzustehen. Er stand nun in einer Masse aus Blut und Körperteilen. Irgendwo konnte er einen verkohlten Arm erkennen, an dessen Seite Knochensplitter herausragten und die einzelnen Adern wie Kabel das zur Schau gestellte Muskelfleisch durchzogen. Er atmete sehr schnell, so schnell, dass er beinahe keine Luft mehr bekam. Sein Magen war zu einem einzigen Rotieren mutiert. Die Übelkeit machte ihn beinahe besinnungslos. Er schwankte, ihm war schwindelig. Gleich wache ich bestimmt auf und dann ist alles wieder gut. Das ist nur ein schlimmer Traum.
Plötzlich zuckte der Arm. Er schrie, er schrie und rannte. Das hielten seine Nerven nicht aus. Immer wieder rutschte er auf dem vom Blut glitschigen Asphalt aus und fiel zu Boden. Doch er richtete sich wieder auf und rannte weiter. Das Feuer war für ihn in weite Ferne gerückt. Er wusste nicht, wie lange er lief, als er wieder einmal über eine grausam entstellte Leiche stürzte. In seiner Seite hatte er starke Schmerzen und auch seine Knie schmerzten davon, dass er so oft gefallen war. Diesmal blieb er liegen und schluchzte. Tränen mischten sich mit dem Blut auf seinem Gesicht, während der Rauch des sich langsam verziehenden Feuers sanft über ihn hinweg schwelte. Er schrie um Hilfe, schrie so laut er konnte.
Wie als Antwort hörte er nicht weit von sich entfernt jemanden wimmern. Ganz leise, wie ein Kind. Erst jetzt bemerkte er, wie ruhig es um ihn herum war. Diese Stille machte ihn wahnsinnig. „Mama?!“, rief ein kleines Mädchen aus derselben Richtung, aus der auch das Wimmern gekommen war. Der Junge richtete sich langsam wieder auf. Er war sich unsicher. Hatte er das wirklich gehört und wer war das? „Mama?“, hörte er das Kind verzweifelt wimmern. Ein Kind? Was war das hier für ein kranker Traum? Es schien Angst zu haben. Sollte er nicht nachsehen? Im Moment schien es ihm sowieso so, als habe er nichts zu verlieren. Er atmete tief durch. Er zitterte immer noch heftig, doch er musste sich beruhigen. So konnte er sich nicht helfen, wenn er einfach die Nerven verlor. Der schmutzige Rauch brachte ihn wieder zum Husten und er musste sich ein weiteres Mal übergeben. Dann schloss er die Augen. Schweiß rann durch sein Haar und über seine Stirn und absurder Weise war das, was er sich im Moment am meisten wünschte, eine heiße Dusche. Ruckartig stand er auf, wobei ihn wieder Schmerzten plagten. Stell dich nicht so an!, hörte er eine Stimme in seinem Inneren sagen. Wer hatte das noch immer gesagt? Die Stimme kam ihm bekannt vor, doch er konnte sich nicht an die Person dazu erinnern. Wer war das? Aber das tat jetzt auch nichts zur Sache. „MAMA“, hörte er wieder und entschloss sich, den Schreien zu folgen.
So nahm er all seinen Mut zusammen und setzte sich in Bewegung, immer der Stimme nach. Wie viel schlimmer konnte es noch kommen?
Langsam schritt er auf die Kleine zu, der Rauch brannte in seinen Augen und erschwerte seine Sicht. Er legte sich wie ein bleiender Schleier über seine Lungen. Er hustete ein paar Mal und wischte sich mit zitternder Hand Blut und Schweiß von der Stirn. „Mama?!“, schrie das kleine Mädchen erneut. Es fühlte sich an, als hätte er Blei in seinen Beinen. Neben vor ihm konnte er ein noch halb stehendes Gebäude sehen. Das große Schild, das es einst gesäumt hatte, war heruntergefallen und lag jetzt auf einem der vielen Körper.
Er wollte der Kleinen antworten, aber die Worte steckten in seiner Kehle, als wären sie zu groß, um herauszukommen. Der würzige Geruch einer brennenden Welt lag schwer in seiner Nase.
Auf einmal war da nichts mehr. Verdutzt schaute er sich um. Er war schon weit gekommen, auch wenn er nicht wusste woher er das wusste. Genauso wie er nicht wusste, wo er überhaupt war. Er konnte sich so gut wie an gar nichts erinnern, das machte ihn verrückt. Ohne es recht zu bemerken, war der Junge stehen geblieben. Er horchte dem Rauschen des Windes und versuchte die Hölle nicht zu beachten, die sich vor ihm erstreckte. Um ihn herum waren nur ausgebrannte Autos und Körper, die wie achtlos herumgeworfene Puppen auf dem Weg vor und hinter ihm verstreut lagen.
Nun sah er die aufgeplatzten Asphaltreste Der Straße vor sich liegen, die er vorerst gar nicht realisiert hatte. Wie hatte er es geschafft auf einem solchen Boden zu rennen? Er nahm einen tiefen Luftzug und musste sich beinahe wieder übergeben, als der kratzige Rauch seine Luftröhre durchzog und seinen Weg in seine Lungen fortsetzte. Die Luft war voll von Kohlenstoff und Schwefel.
Das Kind schien verstummt zu sein. Einen kurzen Augenblick wollte den Jungen die Feigheit packen und er erwog einfach umzukehren und das Kind seinem Schicksal zu überlassen, doch irgendwas in ihm drängte ihn, nicht aufzugeben. Was war wenn es Schmerzen hatte? Es hatte doch bestimmt Angst, genauso wie er. Und auch er wollte nicht unbedingt allein sein.
Umso weiter er nun seinen Weg fortsetzte, destso kühler sah er die Verwüstung und die Toten um sich herum. Es schien ihm, als wäre die Zeit stehen geblieben und die Nüchternheit, mit der er diese Schreckliche Verwüstung betrachtete, verwunderte ihn.
Eine Art schwarzer Dampf stieg aus den Spalten zwischen den einzelnen Straßenbruchstücken auf. Der Wind flachte ab und auch das Feuer schien sich langsam zurückzuziehen. Es schien ihm wie im Krieg, auch wenn er nicht wusste, ob er je einen erlebt hatte oder Krieg nur aus dem Fernsehen kannte. „Hallo?!“, rief er, „ist da jemand?“ Nichts. Was war wenn das Kind schon längst tot war? Er zwang sich, sich ein bisschen schneller zu bewegen, doch am liebsten wäre er stehen geblieben, um sich auszuruhen. Denn sein Atem ging immer schwerer und es stach in seiner Seite und in seiner Schulter. Sein Herz pochte immer noch sehr schnell. Oftmals stolperte er über Straßenbruchstücke, doch er schaffte es jetzt irgendwie, das Gleichgewicht wenigstens so weit zu halten, dass er nicht hinfiel. Er lief schwankend, doch er wusste, er konnte noch weiter. Doch weiterhin traten Tränen aus seinen Augen. Verdammt, stell dich nicht so an du Weichei! Wieder diese Stimme. Er wusste nicht von wem sie war, aber er wusste, dass er diese Person nicht mochte, er schien sie zu hassen. Aber sie hatte Recht.
Nun konnte er schemenhaft eine sitzende Gestalt durch den Rauch erkennen. Noch ein paar Schritte, dann hatte er sie erreicht. Vor ihm saß ein kleines Mädchen mit blonden Haaren in einem weißen Kleidchen. Es war irgendwie süß, doch gleichzeitig glich es einer Horrorgestalt. Ihr linkes Auge war zu geschwollen und voller Eiter. Das blonde Haar und das Kleidchen waren Blutbefleckt und die Arme und Beine waren ganz zerkratzt. Auch das Gesicht war von tiefen Schnitten durchzogen. Sie weinte so herzzerreißend, dass es ihm wehtat. „Wo Mama?“, fragte sie und schluchzte dabei. Dann streckte sie ihm ihre Arme entgegen, so als wolle sie, dass er sie auf die Arme nehme. Neben ihr lag eine junge Frau. Sie trug ein Hochzeitskleid und um sie herum lagen Blumen verstreut. Ob das die Mutter der Kleinen war? Er setzte sich neben das Mädchen und schaute sie an. Ich würde mich ja gern vorstellen aber ich weiß selbst nicht, wer ich bin, dacht er bei sich. „Hallo Kleine, wie heißt du denn?“ Sie schaute ihn mit ihrem rechten Auge verdutzt an. Das andere konnte sie nicht öffnen. Das Auge hatte eine wunderschöne, tief blaue Farbe und ihr Gesicht war so unschuldig und traurig, dass es den Jungen schier zerriss. „Maja“, sagte sie in ihrem kindlichen Ton. Sie hielt immer noch seine Arme in seine Richtung gestreckt. Er nahm sie mit seinen Armen hoch und setzte sie auf seinen Schoß. Die Kleine kuschelte sich an seine Brust. Ein leichter Schauer durchlief ihn. Die kleine war eiskalt, beinahe wie eine Tote. „Keine Angst. Ich nehme dich mit, Kleine“, sagte er zu ihr und nahm das Kind in seine Arme. Ihm selbst war auch kalt, aber er versuchte sie zu wärmen, wenigstens ein bisschen. Maja schluchzte und atmete unregelmäßig.
„Mama tot“, sagte sie. „Schhh“, versuchte er sie zu beschwichtigen. Was jetzt? Wo sollten die beiden bloß hin? Er hatte nicht einmal eine Sekunde darüber nachgedacht, sie dort zu lassen. Das konnte er nicht mit sich vereinbaren. Ich sag doch: Weichei!, verlautete jene verhasste Stimme. Er setzte das Mädchen auf den Boden, und erhob sich. Dann bückte er sich und hob die Kleine auf seine Arme. Sein Rücken quälte ihn fürchterlich, er fühlte sich wie ein alter Mann. Maja war leiser geworden. „Lieber Mann“, sagte sie mit ihrer süßen kleinen Stimme.Es rührte ihn sichtlich. Er hatte das Mädchen sofort gemocht.
Sie legte ihre Arme etwas unbeholfen um seinen Hals und schmiegte sich mit ihrem wuseligen Lockenschopf daran. Liebe auf den ersten Blick, dachte er und lächelte. Dann setzte er seinen Marsch fort, auch wenn er nicht wusste, wohin er gehen sollte. Sie war recht schwer und nach kurzer Zeit schmerzten seine Arme, aber an eine Pause dachte er nicht einmal. Er wollte raus aus dieser Stadt, wollte dieses Gefühl der Hilflosigkeit los sein. Nur wohin? Bis wie weit ging diese Zerstörung, wie viele Städte waren betroffen?


Fortsetzung folgt...

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

heeeeeey Chichi ich find deine Geschichte voll toll Süße die musst du weiterschreiben ja? Die Maja is voll süß(; und ich mag das THema.
Lieb ya(: deine maxi

Anonym hat gesagt…

Das wird was mit deinem Bestseller, du packst das schon und du bist hübscheste von allen ;-).

Anonym hat gesagt…

chichi du bist suuuuuuuuper!!!!!!!! mach immer weiter so... hdgdl!!! andi